Iran - Mashad - Anfang August
Es ist 2:30 Uhr. Wir sitzen auf der Rückbank eines altes Saipas. Vorne sitzen Amir und Fatimeh (die Namen habe ich mal geändert). Ihr Sohn kriecht nicht
angeschnallt auf Muttis Schoß herum.
Wir sind für ein paar Nächte bei den Beiden in Mashhad untergekommen und jetzt auf dem Weg zur Hauptattraktion der Stadt. Der Imam-Reza-Schrein
Dieser Schrein ist ein riesen Komplex aus diversen Gebäuden umrundet von einem Kreisverkehr gigantischen Ausmaßes. Im Inneren befindet sich der Grund weshalb viele Muslime nach Mashhad
kommen. Im Inneren befindet sich das Mausoleum von Imam ar-Ridā, der achte Imam der Zwölferschiiten.
Wir haben den Schrein erreicht und fahren in die Tiefgarage. Ich habe noch nie eine so große Tiefgarage gesehen. Die ganze Stadt muss unterhöhlt sein. Dass hier in großen Dimension und für
gewaltige Besucher-Massen geplant wurde, hat man auch schon am Verkehrsleitsystem gemerkt. Eigene Fahrspuren, die sich durch die ganze Stadt ziehen und nur zum Schrein führen.
Wir suchen einen Parkplatz (Nachts! Halb drei! Parkplatz suchen!)
Wir steigen aus und Lena bekommt einen Chador von Fatimeh.
Am Security check werden Frauen und Männer getrennt.
Soweit wir wissen - und das bestätigt auch unser Gastgeber - ist es Nicht-Muslimen nicht gestattet diesen Platz zu besuchen. Aus diesem Grund sollen wir auch behaupten, dass wir aus
Turkmenistan kommen, falls wir gefragt werden. Amir sagt, dass das sehr glaubwürdig sei, weil gerade der Geburtstag des Imam gefeiert wird und viele aus dem Nachbarland in diesen Tagen hierher
kommen.
Turkmenistan. Alles klar.
Kurzes Abtasten, keine Fragen, fertig. Zumindest bei mir.
Ich warte zusammen mit Amir an der Rolltreppe hinter dem Check. Es dauert etwas länger als gedacht. Zu lange.
Mir fällt ein, dass Lenas türkmenisch vermutlich so schlecht ist, dass noch nicht mal die Aussprache des angeblichen Heimatlandes glaubwürdig erscheinen wird.
Es dauert. Andere Frauen kommen aus dem Check, nur Lena und Fatimeh nicht. Zwischendurch kann ich durch die schwarzen Vorhänge einen Blick auf Lena erhaschen. Sie sitzt auf einem Stuhl,
Fatimeh steht neben ihr vor einer anderen, verhüllten Frau mit Funkgerät.
Die Situation zieht sich hin. Viel kann nicht passieren. Niemand wird sie einsperren, nur weil sie versucht hat sich in irgendeinen heiligen Schrein reinzumogeln. Oder?
Amir geht irgendwann zur Funkgerät-Frau und sagt etwas auf Farsi zu ihr.
Das scheint Wirkung zu zeigen.
Lena kommt heraus und sieht entspannter aus als ich erwartet hatte.
Wir rollen die Treppe hinauf.
Oben angekommen stehen wir auf einem hell erleuchteten Platz. Überall sind Wasserspender. Aber solche von der schönen Art. Plastikbecher gibt's auch dazu. Und die landen hier sogar im Mülleimer.
Ist jetzt schon magisch dieser Ort!
Wir laufen umher und schauen uns um. Wir sehen Schilder mit einer Kamera drauf. Diese ist durchgestrichen und rot umrandet. Wir würden es als fotografieren verboten interpretieren. Hier heißt es:
keine Kamera benutzen, die so aussieht wie auf diesem Schild. Alle machen Selfies mit dem Handy, Filmen und fotografieren damit.
Jetzt gehen wir Richtung Heiligtum. Das Mausoleum oder die Moschee. Wir sind nicht sicher. Jedenfalls dahin, wo das Grab drin ist.
Auch hier gilt Geschlechtertrennung. Das Gebäude ist sozusagen geteilt
Frauen links, Männer rechts. Amir gibt mir noch Instruktionen. Nicht sprechen. Er wird mit meinem Handy Fotos machen. Keine große Aufmerksamkeit erregen. Möglichst muslimisch Verhalten (das hat
er nicht gesagt, versuche ich aber trotzdem)
Schuhe aus, ab geht's.
Im inneren ist irgendwie alles verspiegelt. An den Wänden glitzert alles. Eine Million kleine Spiegel pro Quadratmeter schätze ich. Es sieht furchtbar kitschig aus. Und teuer.
Für diese Uhrzeit sind unglaublich viele Menschen (Männer - die Frauen sehe ich ja nicht) hier drinnen.
Überall stehen und sitzen die Leute. Sie beten, lesen, küssen Türrahmen und machen Selfies.
Irgendwie seltsam dieser Kontrast. Beinahe fanatischer Glaube und dann Selfies im Heiligtum machen.
Zumindest für mich passt das nicht zusammen.
Amir führt mich durch die Gänge. 2 Meter hinter dem Eingang hatte ich schon die Orientierung verloren (hat Orient eigentlich was mit Orientierung zu tun?)
Die Menschen verdichten sind. Wir sind am Grab angekommen. Alle schubsen und drängeln. Die Leute wollen das Grab berühren. Ich sehe junge Männer, die sich an den goldenen Gittern, die am Grab
befestigt sind, festklammern.
Ordner versuchen die Massen zu kontrollieren und zurechtzuweisen. Das tun sie mit Staubwedeln. Kleine, weiche Stubser auf den Kopf um zu sagen: So nicht, mein Freund!
Wir gehen wieder hinaus und treffen die Mädels. Jetzt sind wir irgendwo anders auf dem Komplex. Eine Art Hof, ebenfalls hell erleuchtet mit vielen Teppichen auf dem Boden.
Wir machen noch ein paar Fotos und Amir erzählt uns noch ein paar Dinge.
Zum Beispiel ist da drin garnicht das echte Grab. Nur ein Kasten, den die Leute berühren dürfen. Das echte Grab sei wohl auch irgendwo hier, aber eben nicht dort drin.
Gegen 4 Uhr sind wir dann wieder zu Hause. Der kleine Sohn war die ganze dabei.
Wir fühlen uns privilegiert diesen Ort besucht haben zu können und obwohl das das Einzige war, was wir in Mashhad gesehen haben, reicht es uns völlig und unser Sightseeing Bedürfnis ist
befriedigt.
Später erfahren wir noch was Amir der Frau mit dem Funkgerät gesagt hat. Es war in etwa dieser Wortlaut:
"Jetzt stellen Sie sich nicht so an. Diese Frau ist Moslem. Sie halten hier gläubige Menschen fest, die diesen heiligen Ort besuchen möchten."
Mit voller Überzeugung. Nicht schlecht!
Kommentar schreiben
Rüdiger (Freitag, 08 September 2017 23:39)
Irre. Maschhad ist so groß wie Berlin! Lena sieht cool aus mit dem Bettlaken oder Chador, wie es die Leute vor Ort nennen. Ansonsten: Beeindruckend und Gender-Gaga. Islam, ich weiß nicht. Nicht einfach bis Ablehnung. Religion ist "das Opium des Volkes"; Karl Marx, 1844. Gilt allgemein und unabhängig von der konkreten Form der Religion. Glaube ist was anderes! Der hilft ganz oft.
Abenteuer (und das war es wohl ganz bestimmt) bestanden! 10 von 10 möglichen Sternen erkämpft. Alles gut und Hut ab vor der bestandenen Mutprobe! Vertrauen und Hoffnung, darauf basiert unsere Welt.
Viel Glück.
Rüdiger
Robert (Samstag, 09 September 2017 01:36)
Lesung dieser Geschichte quittiert der Rücken mit leichter Gänsehaut. Aber immer wieder schön wie ihr Leute trefft die euch solche Erlebnisse ermöglichen. Supi und krasse Bilder.
Viola (Sonntag, 10 September 2017 13:22)
Ich hab es 2 Mal gelesen. Auf dem Brunnenhof in der Herbstsonne sitzend, während der Wind das erste braune Laub durcheinander wirbelt.
Direkt vor mir ein Teeniepärchen, dass ausdauernd und laut in furchtbar miesem Straßen-Deutsch seine Langeweile sich, ihren Freunden (per Handy) und der Welt mitteilt. Als ihnen garnichts mehr einfällt, stellen sie sich auf die Mitte des Platzes und Knutschen so laut, dass sie selbst die spielenden Kinder, den Wind, das Laubrascheln und den ewigen Großstadtlärm übertönen mit ihren Schmatzgeräuschen. Dabei sehen sie aus, als würden sie sich gegenseitig auslutschen.
Ihrem Aussehen nach zu urteilen, kommen sie irgendwo aus dem arabischen Raum.
Das macht es irgendwie noch skurriler, da ich das Gefühl habe, schon einfach nur vom Lesen und Gucken eurer Bilder einen kleinen Kulturschock zu bekommen.
Die Frage ist berechtigt, ob das Wort Orientierung von Orient abgeleitet ist.
Ich fühle mich auf jeden Fall einen magischen Moment lang sehr amgenehm völlig orientierungslos zwischen meiner und eurer Realität. Danke dafür!